Das Grenzgebiet ist ein wesentliches Element des Übergangsrituals, ein Raum im Dazwischen, in dem eine (wenn auch zeitlich begrenzte) Inversion der Stellungen, Stände, Rollen und Systeme stattfindet. Die Perspektive dessen, was sich hinter der Grenze befindet, beunruhigt einerseits, doch andererseits regt es die Vorstellungskraft an. Die Grenze und die Idee davon wandeln sich permanent, durchdringen das Innere – sie krümmen den Raum, die vorgegebene Struktur, das Erscheinungsbild. Der Bereich des Grenzgebietes bleibt dadurch inhomogen, im Gegensatz zum Zentrum. Doch was uns am spannendsten erscheint, befindet sich ja am Rande oder vielmehr am Schnittpunkt, der ein weiteres Geheimnis in sich birgt.
Die faszinierende Geschichte des Grenzdorfes Stolec, ehemals Stolzenburg (einst der Sitz der in Pommern bekannten Familie von Ramin, und nach dem Krieg der westlichste Zipfel der militärischen Sperrzone Polens) ist mit all seinen Kontexten für uns schon seit einigen Jahren eine Quelle der Inspiration. Seit einer Weile erlernen wir dieses Gebiet, von seinen polnischen und deutschen Bewohnern, indem wir den Tönen und Rhythmen dieses Ortes lauschen; wir hören den Geschichten zu, erleben sie. Das Bild, das sich aus den individuellen Geschichten ergibt, verliert allmählich an Eindeutigkeit und schenkt diesem Ort einen spezifischen Charakter. Dass uns diese Geschichten anvertraut werden, ist ein großer Akt des Vertrauens, ein sichtbares Zeichen der Beziehungen, die in der gemeinsam verbrachten Zeit, an diesem Ort, unter diesen Umständen entstanden sind.
Dieses Jahr haben wir beschlossen, die Grenzen dieser Beziehungen weiter zu verschieben, indem wir den Bewohnern von Stolzenburg vorgeschlagen haben, gemeinsam das Dorffest zu gestalten. Es ist ein ungewöhnlicher Weg, voller Überraschungen. Er erzwingt auch, sich die jeweiligen Vorstellungen und Erwartungen genauer anzusehen und sie eventuell zu revidieren – und ist dadurch umso inspirierender. Wir haben zu diesem Fest einige Künstler eingeladen, deren Arbeit wir für wichtig befinden, und die für Experimente und Arbeit in individuellem Raum empfänglich sind. Wohin uns dieser Weg führen wird, werden wir bald erfahren.
Rafał Foremski
Teatr Kana